
Schranz
(SURROUNDINGS)
Schlechter geht es nicht. Besser auch nicht. Wild! Pathos. Cuba Libre und Vapes. Armstulpen und rote Haare. Southstar. Ein Vibrator in Eiffelturm Form. FUN. Humor. Gelnägel, Kondome mit Cola Geschmack, Kaffee aus dem Automaten ...

Schon einmal davon gehört? - >>Vipassana?!<< Das Heilmittel gegen universelles Leid.
Es wird euren spirituellen Bekannten ein Begriff sein. Es ist verbreitet unter den Achtsamen. In Mode!
Sobald ihr
Vipassana einmal auf dem Schirm habt, wird es euch verfolgen. Überall sah ich plötzlich Referenzen und Bücher darüber, und als ich ein süßes Paar fragte: >>Wo habt ihr euch kennengelernt?<<, sagen sie gleichzeitig: >>Vipassana<<. Zum Vipassana-Schweigekloster gehen die, die sich optimieren und die, die wirklich an sich arbeiten. Niemand, der wirklich gebrochen ist, macht ein Vipassana.
Also wollte ich es als erste ausprobieren! Ich brach mich selbst. Brach mein ganzes Leben auf, und ließ alles hinter mir, was ich liebte. Eine gute Idee?
Nicht wirklich. Aber so könnte eine spannendere Geschichte geschrieben werden.
Ich wollte meine Geschichte schreiben,wie Hesse Siddhartha.
Das Wort Vipassana bedeutet, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Es ist der Prozess der Selbstreinigung durch Selbstbeobachtung.
Aber ich fand keinen Weg und auch kein Flow, und da landete ich im Nichts. Im Loch. Aber da war meine Schwester, die Influencerin, die auf Bali heiratete. Also setzte ich alle Hoffnung auf einen Neuanfang - und warum nicht gleich eine mentale Reinigung in Indonesien? Ich meldete mich beim Vipassana in Jakarta an. Ob ich trinke, rauche, Drogen nehme? Nein, auf gar keinen Fall. Ich bin ein unbeschriebenes Blatt. Komplett bereit und psychisch gesund für diese Begegnung mit mir selbst, durch die ich ganz zu mir finde. I am Mrs - Baby - Proper (Biezeps-Smilie).
INDONESIEN
Ab nach BALI - Es läuft smooth. Meiner Schwester gehört die Insel.
Ich folge der Familie von Villa zu Villa, lasse mich massieren, bin bereit für Abenteuer. Aber nichts passiert. Jeden Abend trinke ich Bintang Bier und warte ab. Am Ende kommt dann doch unverhofft; der Rausch. Ein Pilztrip. Er verläuft relativ harmlos. Trotzdem schwächt er mich und ich werde am Tag vor dem Vipassana krank, gehe trotzdem noch auf zwei schreckliches Date mit einem Typen aus LA und einem aus Tel Aviv und bin dann am nächsten Tag nicht nur heiser, sondern habe meine Stimme (durch den exzessiven Vape-Konsum) komplett verloren. Ein bisschen funny, weil ich ja eh nicht mehr sprechen darf. Jetzt noch einen Flug und zwei Stunden Taxi überleben, dann wird geheilt.
Easy!
Ich trage ein grünes Hippie-Tuch als Schal und verdrücke am Flughafen noch eine fette HenkerInnenmahlzeit: Gado Gado. Jetzt bin ich auf mich allein gestellt und bereit für die Erleuchtung. Meine 486 Wunden freuen sich auf Aufmerksamkeit. Das Ego wird jetzt endgültig ausgeschaltet und in Bahnen gelenkt. Die 30 jährige übernimmt!
Der Bali-Vibe ist in Jakarta plötzlich weg. Dicke Wolken und ein grauer Schleier ziehen sich über das Land.
Habe ich mir das gründlich überlegt? Natürlich nicht. Mir geht es wirklich schlecht, aber ich muss da rein. Ich muss da rein! Jetzt bloß keinen Rückzieher machen…
Der Taxifahrer findet die Location nicht, weil sie im Dschungel verborgen ist. Er bleibt vor einer Blechhütte stehen und lässt mich raus. Fuck. Ich schwitze und niemand versteht mich. Ein Kind begleitet mich und zeigt mir das verlassene Hotel, in dem nur noch Kakerlaken wohnen. Der Pool ist grün gekippt, und ich bin die Erste dort, werde misstrauisch angeschaut.
Ein Arzt fragt mich, ob ich wirklich gesund bin, und ich nicke eindringlich. Ich muss dies nun schwarz auf weiß unterschreiben und darf mich dann schlafen legen. Jeglichen Besitz gebe ich ab.
>>Ciao Schatz. Melde mich in zehn Tagen...<<, schreibe ich Alena. >>Krass. So lange hatten wir noch nie keinen Kontakt…Pass auf dich auf<<, antwortet sie. Auch von meiner Schwester verabschiede ich mich, und sie schickt mir Herzen. >>Du schaffst das!<<.
Tag 1
Noch dürfen wir sprechen, und die Frauen, die ebenfalls hier eingetroffen sind, sind offen und süß. Wir kommen alle aus verschiedenen Ländern, sitzen zusammen auf einer Wiese. Da ist die berühmte türkische Fernsehmoderatorin Elif, Cassy aus Australien mit gut gemachten Brüsten und Lippen - natürlich Life-Coach. Wir teilen uns ein Zimmer. Dann ist da die coole Lin aus einem Surf-Mekka in China mit kurzen Haaren, Bucket Hat und einer analogen Kamera. Neben mir sitzt außerdem Amy, die sich eher hinter mit versteckt, unter schlimmer Akne leidet und aus den Niederlanden kommt. Sie ist jung und war schon in der Armee. Amy ist wirkt klein und schüchtern, aber auch mutig, stark und warm.
Alle erzählen von ihren Geschichten und Beweggründen: >>Ich stecke in einer toxischen Beziehung und möchte von ihm loskommen<<, erzählt Cassy, >>...und meine Followerinnen haben sich diese Erfahrung gewünscht…<<.
Lin ist so entspannt, dass ich an ihren Lippen hänge: >>I don't know. I don't expect anything. I am just going with the flow…<<. Als ich dran bin und nun mal nichts außer ein Krächzen herausbekomme, lachen alle mit mir, erst belustigt, dann besorgt.
Dann erklingt der Gong: Fresse halten!
Die erste Meditation beginnt.
Jetzt beginnt der Spaß, oder der Horror?! Wir meditieren eine Stunde in der heiligen Dhamma-Hall, einem tristen Seminarraum, und schauen uns dann ein Video von
Goenka an. Ich mag ihn auf anhieb. Er erzählt lustige Geschichten. Er war ein reicher Kaufmann, bis er sich dem Buddhismus zuwandte. Goenka hat immer eine feuchte Nase und singt schief. Er bereitet mir viel Freude, wenn er Wörter falsch ausspricht und etwas sagte wie: >>Just look. There is everything you need. Tuuuh much!! Do you have eyes or butthole??<< (buttonholes)
RIP, Goenka!
Von da an läuft es so ab:
Wir stehen um 5 Uhr auf und meditieren, sitzend, bis abends. Wir essen zwei Mal am Tag, einmal um 7 Uhr und einmal um 13 Uhr und dürfen das Gelände nicht verlassen. Es ist von sperrigen Holzbrettern, bedrohlich, eingezäunt. Wir schlafen um 21 Uhr und dürfen von nun an kein Wort mehr sprechen, kein Buch lesen, weder Handys noch Stift und Papier benutzen. Keine Ablenkung - keine freie Haut, nur Du & deine Gedanken. Mega. Wie habe ich mir das vorgestellt? Ach ja,
Easy!
Diego lebt auf! (Dieg=mein Ego) Er hasst Alles daran und wächst. Jede Sekunde. Er hängt Poster auf von seinem Schwarm auf und wünscht mir erfreut
>>Du bist so am Arsch!!!! ViEl SpAsss!!!<< und knallt die Tür zu. Ich höre laut Tokio Hotel in meinem Kopf rauschen. Schrei.
Ich frage ob man sich auf diese Black-Mirrow Folge vorbereiten kann?! Auf dem Weg hierher habe ich leider meine Flipflops verloren, und nun habe ich bei 35 Grad nur meine absoluten Lieblings- Sneaker dabei. Ich will eh immer Turnschuhe tragen. Aber diese lasse leider im Regen stehen. Das ist dann nicht mehr Bad-Ass, sondern einfach nur ekelhaft. Am Anfang werden wir gefragt, ob wir eine analoge Uhr wollen. Ich verneine. Einmal ohne Zeit leben, ist doch spannend, oder?
Zehn Tage lang weiß ich also nicht, wie viel Uhr es ist, welcher Tag es ist und bekomme trotzdem ein Feeling dafür. Einfach auf den Gong hören. Ich verpenne so einige Sessions, aber das hat auch andere Gründe...
Tag 2
Ich habe eventuell eine Lungenentzündung, habe schlimmen Husten. Zählt der als "Sprechen"? Ein böser Blick der Lehrerin antwortet: >>JA<<. Shit!
Einmal dürfen wir die Lehrerin etwas fragen, zu unserer Praxis. Zum Buddhismus. Ich sitze schwitzend, fiebrig vor ihr und kriege nichts raus, weil ich ja keine Stimme habe. Beschämt flüstere ich: >>I feel really bad. I need Cough Syrup please!<<. Sie antwortet:
>>I see you had fun. Bali. Not good. No Healing. No Cough Syrup for you<<. Ich nicke ertappt und bedanke mich. Sie hat mich durchschaut. Ich habe gerade mit Buddha höchstpersönlich gesprochen. Benommen taumel ich in mein Bett und und unterhalte mich mit meinem einzigem Freund, einer Kakerlake. >>Darf man sich hier wenigstens selbst befriedigen??<<, lalle ich in mein Kopfkissen. >>Nein, du Depp<<, sagt er und legt seine Fühler zärtlich an meine Stirn. >>Haha, macht Sinn. Es gibt ja eh keinen Strahl. Du wohnst in dem Abfluss, oder? Wie isses da so?<<, frage ich, und meine Mitbewohnerin räuspert sich, zieht den Vorhang zwischen ihr und uns zu, damit er ihr schmales Klappbett von meinem kleinen Klappbett trennt.
Die ersten drei Tage müssen wir einfach durch die Nase atmen und darauf warten, dass es an der Stelle unter der Nase kribbelt. Ich habe noch nie so wenig Luft aus meinen Nasenlöchern bekommen wie in diesen drei Tagen. Auch husten darf ich nicht. Manchmal schleiche ich mich aus dem Raum heraus und lege mich auf die Treppe und penne, bis stille Schatten über mich steigen.
Natürlich mache ich mich selbst fertig, wie soll man sonst zur Vernunft kommen, etwa mit Mitgefühl?!
>>NICHT MAL HEILEN KANNST DU. MACH DOCH EINFACH NORMAL MIT. JETZT SCHLÄFST DU WIEDER.. BIST KRANK. IMMER AUSREDEN. SO WIRD NIE WAS AUS DIR. DAS IST DEIN FLUCH. DAS IST SO TYPISCH<<...
Tag 3
Ich spucke Blut und will die Meditation unterbrechen. Die Lehrerin schüttelt den Kopf. Als der Gong schlägt, schleppe ich mich in mein Bett und schlafe zwölf Stunden. Am nächsten Morgen finde ich auf meinem Nachttisch einen Hustensaft. Ich heule vor Freude, weiß nicht, bei wem ich mich bedanken kann.
Jetzt wird alles gut!
Tag 4
Nichts ist gut. Ich bin krank und es ist hart. Die Beine schmerzen vom Schneidersitz, und Diego ist laut. Beim Essen zähle ich immer durch. Wir verlieren Teilnehmerinnen. Auch bei den Männern, die von uns getrennt sind, nehme ich Verluste wahr. Es ist gruselig, weil man sich nicht verabschiedet, und es wirkt, als wären die Personen gestorben. Sie müssen zunächst erklären, warum sie das Camp verlassen wollen, und ich frage mich, wie diese Verhöre genau aussehen. Das ist doch alles ein bisschen - gestört??
>>Du bisss gestört!! Sonst wären wir nicht hier, sondern auf LOMBOK!<< bafft mich Diego an. >>Pah<<, lache ich laut und kassiere einen bösen Blick, schaue wieder auf meinen Platz. Die Tischdecken und das Geschirr werden nie gewechselt und die Frauen achten konzentriert darauf, keine Flecken zu hinterlassen. Sie essen bedacht und ohne Freude. Ich gönne mir den einzigen Fun, den es hier gibt. Da fällt auch mal eine Nudel herunter, auf die weiße Decke. Jeden Tag erkenne ich meinen Platz dann am schnellsten, wegen der braunen Stelle und irgendwie mag ich es, dass sich kleine Ameisen daran erfreuen, zu mir gesellen. Warum muss immer alles so clean sein - als Kind scheißt man doch auch darauf. Da macht das Essen Spaß. Mit Essen spielt man! Als meine rechte Sitznachbarin aufgibt, werde ich einen Platz weiter gesetzt und nun sitzt Cassy bekommt meinen Platz und ich sehe, wie sie die Augen verdreht.
Ich lache innerlich, lege die färbende rote Frucht provokant auf meinen neuen Platz.
Cassy und ich schauen uns nie an, obwohl ein Lächeln hier wirklich die größte Währung währe. Aber wir spüren uns. Ein Mensch sagt so viel über sich aus, ganz ohne Worte.
Cassy ist gut hydriert, hat immer frische Wäsche (Wie?!) und ich kann schon sehen, wie ihr das YouTube-Video in den Fingern kribbelt. Aber als sie bitterlich weint, tut sie mir leid. Ich lege ihr eine Muschel auf das Bett und sie freut sich unecht, legt sie trotzdem zurück auf meine Seite, weil so etwas verboten ist und wir sind hier um es richtig und diszipliniert zu machen. Um es Allen zu beweisen!!!!!
Tag 5
Er startet richtig schlimm. Bei den anderen brodelt es ebenso, das fühle ich. Die tiefen Sachen kommen raus. Die Trauma melden sich, die >>Unreinheiten<<. Lustigerweise tauchen bei mir auch viele Bilder auf, die total random sind. Essen, das ich mal gegessen habe, als Diashow. Schöne, längst vergessene Momente aus meiner Kindheit. Da war ich so pur, so fröhlich, so wach. Ich will daran festhalten, die Stimme meines Vaters hören.
Am Nachmittag, in den Pausen, schaue ich immer in die Zimmer, die offen stehen, vergewissere mich der Anwesenheit der anderen Frauen. Das hilft gegen die Einsamkeit. Elif lüftet immer ihre Bettwäsche und ich denke mir Die hat ihr Leben im Griff. Eine schöne Italienerin macht Yoga, was verboten ist. Ich zwinkere ihr zu. Ich sehe Cassy, wie sie ihre Augenbrauen zupft und Lin, die einfach im Kreis spaziert und dabei lässig schaut. Schon bald gibt es keine Stelle in dem Hotel, die ich nicht kenne. So gerne würde ich eine fette Katze streicheln, die vor dem offenen Speiseraum liegt, aber ich darf nicht.
Tag 6-8
Es geht mir langsam besser. Wir machen den ganzen Tag Body Scans. Es gilt: Sensationen wahrnehmen. Sie aber nicht haben, hervorrufen wollen. Also den Schmerz oder die angenehmen Gefühle, ein Kribbeln, energetische Impulse bemerken, aber nicht bewerten. Bei mir schläft einfach alles nur ein. Aber immerhin schaffe ich es, mehrere Stunden zu sitzen, ohne mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Am Abend kippe ich immer ins Bett, huste noch stark. Es nervt Cassy, das spüre ich. Sie meditiert jede freie Sekunde. Es ist scheiß egal, ob sie dich mag, rede ich mir ein.
Auch wenn das Sonnenbaden streng verboten ist, finde ich eine Stelle, an der mich niemand sieht und lege mich in die Sonne, ziehe mein Shirt aus. Es ist herrlich. Lin tut es mir gleich. Wir bauen beide parallel aus Hölzchen Häuser, spielen mit langen Grashalmen. Ich fühle mich wie ein Kind. Frei.
Das Essen im Camp ist fettig. Zum Frühstück gibt es Nudeln, am Abend Reis. Alle bekommen Verstopfungen. Das sehe ich, weil mit kleinen Tabletten gedealt wird: Abführmittel. Einmal gibt es Popcorn. Ein Highlight. Ich esse so viel Dragonfruit, wie ich kriegen kann, und der Urin färbt sich pink.
Die meiste Zeit starre ich in das rauschenden Gewässer, das durch das Gelände führt oder in die seicht wankenden Baumkronen. Mein Lieblingsplatz ist auf einer sehr wackeligen, sehr renovierungsbedürftigen Brücke. Und da passiert kognitiv etwas. Ich komme in eine Art Trance. Ich schaue stundenlang in die fließende Strömung und sehe eine Stelle, an der das Wasser kämpft, an der es zurückfließen will. Aber es muss weiterfließen. Es hat keine Chance… Es muss loslassen, sich der Natur, dem Größeren ergeben. Und da verstehe ich etwas Grundsätzliches. Manchmal muss man kämpfen und manchmal muss man damit aufhören.
Ein paar Meter weiter sitzt Amy und heult. Sie sieht aus, als würde sie am liebsten springen. Ich fühle ähnlichen Schmerz und lächle ihr zu, sage ohne Worte:
Loslassen! Sie nickt dankend. Zwanzig Minuten später heule ich, ohne es zu merken, und sie nickt mir zu...
Loslassen!
Auch ich danke.
Dann entdecken wir gleichzeitig ein Otter-Paar, und ich kann euch nicht sagen, wie aufregend dieses Spektakel nach sieben Tagen, ohne Stimulation, ist.
Marvel - Endgame - Level!
Wir tanzen ein bisschen vor Freude, also hüpfen und wackeln und teilen diesen Moment. Die beiden Otter, spielen mit der Strömung, lassen sich treiben und tauchen immer wieder auf anderen Steinen auf, warten aufeinander, halten Händchen oder legen sich auf den Bauch des, der Anderen. Sie ärgern sich, sind frech und freuen sich übereinander.
Ich will so leben, so lieben wie diese zwei Otter.
Am Abend höre ich wieder Goenkas Abbild auf einer Leinwand zu und werde ermahnt, weil ich einmal meine Beine ausstrecke und mich einmal an die Wand anlehne. Wie sieht sie das? Es ist doch dunkel. Puh... Aber heute nehme ich mir seine Worte zu Herzen und schnappe mir später den Augenbrauenstift von Cassy und schreibe auf Klopapier:
>>Stop craving and clinging. Attachment is the reason for all of our suffering.<<
Tag 9
Wir werden immer weniger, und die Stimmung im Retreat ist am Tiefpunkt. Wir gehen hintereinander her wie Gefängnisinsassinnen. Niemand lächelt. Es herrscht Untergangs-Stimmung. Es kann nicht erst Tag neun sein, denke ich. Wieder und wieder gehe ich während der Meditationen durch meinen Körper: >>Naaaaaa Schultern, was geht ab? Fühlt ihr was? Kribbeln? Steckt was in euch? Also ihr müsst nicht… aber ihr könnt. Nein?? Jaaaaa arghhh, dann fickt euch doch!! HEEEY Oberkörper, Naaaaa, zeigen wir den Schultern wie es geht???"<< ... oder Good Cop, singend: >>Lieeebste Füüüüße, allerbeste beste Füßeeee, wie geht es euch denn heuteeee?<< Manchmal grinse ich, blinzle mit den Augen, und sofort dreht sich der Kopf der Lehrerin in meine Richtung. Dann werde ich wieder ernst und freue mich mittlerweile über reine Schmerzen und dessen Vergehen.
Endlich finde ich mich damit ab, dass ich keine Erleuchtung, keine einfache Erlösung bekommen werde. Es bringt nix. Ich gebe auf.
Später sitze ich wieder auf der Brücke und bin trotzdem dankbar. Ich schaue mir die grünen Wälder an, in die ich so gerne gehen würde. Ich stelle mir vor, wie ich mich bald wieder frei bewegen kann.
TAG ZEHN
Wir haben am Mittag eine Abschluss - Meditation, und die Lehrerin weint, was mich berührt. In den letzten Minuten lasse ich alles los: alle Erwartungen, allen Druck und dann durchfährt mich doch wirklich dieser Schauer, dieser goldene Honig, von dem ich mal gehört habe. Alle Schmerzen lösen sich. Wow- Krass!
Ich habe es geschafft. Es herrscht feierliche Stimmung. Wer spricht zuerst? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Alles kommt mir banal vor. Worte kommen mir leer und die Stille wahrhaftig vor. Diego ist weg?
Unerwartet bricht Amy das Schweigen: >>Guys, were you also so horny all the time??<<. Wir prusten los und nehmen sie in den Arm. >>We are all Sisters now<< beschließen wir und ich werde in die Whatsapp - Gruppe anicca anicca (Alles ist vergänglich) eingeladen, in die ich nie schreiben werde.
Dann renne ich mit Lin die Treppen hinauf, werfe die Holzabsperrung um. Wir laufen auf den Hügel, an die Stelle, an die ich mich immer gewünscht habe. Es ist ein großartiger Moment. Als später noch die Lehrerin zu mir und Cassy kommt und strahlend lobt: >>You two looked like little Buddhas<<, da kann ich mir den Stolz nicht verkneifen.
Lin stellt sich dazu und Cassy sagt: >>Lin, I loved your Outfits. You made my days!!<< Und ich bin kurz eifersüchtig. Scheisse.
Eine andere Teilnehmerin, die ich noch nie gesehen habe, pierscht sich nah an mich heran und flüstert: >>I was sitting behind you. Always smelling!!<<. Ich werde rot und sage:
>>My Feet?? Omg, I'm so sorry!<<
>>No. Good. I like you. But at some point, I thought you die maybe. I got you medicine<<.
>>It was you!! Oh wow. Thank you!!!<<
Dann fällt es mir ein: Mein Handy! Das Portal zur Außenwelt, zu den unendlichen Möglichkeiten und Realitäten.
Sobald das weiße Apfel-Zeichen auftaucht, dass unsere Aufmerksamkeit als Währung nutzt, werde ich nervös. Es fühlt sich schrecklich und falsch an. Ich war so unabhängig von diesem Gerät. Es ist so dumm, dass wir da immer reinschauen: Da ist keine echte Welt. Nichts davon ist real, keine Sekunde. Es nimmt einem Alles: die Zeit, den Seelenfrieden, das echte Leben, echte Verbindung.
Sofort werde ich in den Sog gezogen, lade wie ferngesteuert eine Story auf Instagram hoch, chatte mit L. Sein Fazit: >>10 Tage lang keine Infos & kein Ausdruck...welches Ego kommt dagegen noch an? Aber ich stelle es mir wie Lockdown vor. Alles anders für immer, denkt man. Und dann ist alles wie immer schnell ...<<
und Alena… Sie schreibt: >>Ich kacke ab ohne dich<< - und es freut mich.
Meine Schwester schreibt: >>Du hast es geschafft! Ich bin stolz auf dich!!<<. Serotonin durchströmt meinen Körper.
Back to Life, back to Attachment.
Cassy schickt mir einen Rabattcode für ihre Schule: Bewusste Frauen, Lin
verspreche ich sie in Hainan zu besuchen und Amy drücke ich besonders fest, bevor ich alleine nach Malaysia weiterreise.
Ich meditierte nie wieder.