Schranz
(SURROUNDINGS)


Schlechter geht es nicht. Besser auch nicht. Wild! Pathos. Cuba Libre und Vapes. Armstulpen und rote Haare. Southstar. Ein Vibrator in Eiffelturm Form. FUN. Humor. Gelnägel, Kondome mit Cola Geschmack, Kaffee aus dem Automaten ...

Flashback - Reise - Schranz

MALAYSIA


Alles was ich auf der Insel Pendang gemacht habe, ist mich zu verlaufen. Es war nicht das richtige Timing für einen Trip dorthin. Aber der Flug aus Jakarta war erschwinglich und zwei Personen rieten mir zu dieser Destination, innerhalb von einer Stunde. Durch einige Klicks übernahm ich (Diego) nach dem Vipassana - Schweigekloster wieder das Steuer. Ich war fast zu mir gekommen, die Wunden lagen offen und ich tackerte sie zu, ohne hinzuschauen. Es reichte mir mit dem Heilen. Dann halt nicht!


Ich hatte für ein ganzes Leben lang genug meditiert, hatte mich tatsächlich mit Kakerlaken angefreundet und wäre fast an Verstopfung gestorben. Als ich mein Handy nach zehn Tagen zurückbekam postete ich: >>Ich habe viel zu schreiben!<< und schrieb Nichts. Alles was ich mir gemerkt hatte, war wir zu viel craven und clingen - zu viel Dosa und Annica (tief) in mir steckt :) 


Ich kam spät Nachts in Malaysia an und war meine erste Unterhaltung mit dem Taxifahrer war eher beunruhigend. Er konnte nicht glauben, dass ich alleine gekommen war. Es könnte hier für mich gefährlich werden. Auch der Mann im Hostel schüttelte erschrocken den Kopf, als ich fragte ob ich draußen auf der Straße noch Essen finden würde. Meine Zahlung für das Zimmer ging nicht durch und ich versprach morgen eine Lösung zu finden, gab ihm dafür meinen Reisepass. Ich war müde, aber konnte kaum schlafen, draußen fand extrem schlecht gesungenes, lautes Karaoke statt und etwas lag im Argen. Mein Körper weiß immer mehr, wann fange ich an auf ihn zu hören?


In der Früh wollte ich mich zunächst stärken, bevor ich meine Finanzen regle und beschloss zu der naheliegenden Promenade zu spazieren. Tatsächlich war ich die einzige Frau auf der Straße und fühlte mich unwohl, etwas war off. Ich fand aber eine schöne Ecke, aß das beste Nasi Lemak meines Lebens und trank einen süßen Kaffee mit Kondensmilch für insgesamt einen Euro, war gerührt von dem Paar hinter der kleinen mobilen Küche. Sie war schwanger und er ganz liebevoll zu ihr, beide schienen so glücklich, als hätten sie alles, was sie brauchen. Lächelnd lief ich die Straße entlang. Es war 11 Uhr und leicht bewölkt.


Ich sah viele Männer auf der Straße animalisch Fleisch in sich reinschaufeln und kam irritiert vom Weg ab. Ein Mann mit roten Augen fuhr auf einem Roller auf mich zu, drehte um und holte sich im Schritttempo neben mir einen runter. Andere Männer sahen das, aber machten nichts und ich verstummte. Nach einer gefühlten Ewigkeit entdeckte ich mein grünes Hostel und konnte seine Blicke noch auf meinem Rücken, an meinem ganzen Körper spüren.


Ich hatte leider keinen Cent mehr auf dem Konto. In einem Gespräch am Telefon schilderte ich meiner Schwester das Geschehene und fühlte mich, als würde ich mit meiner Not übertreiben, sagte dann, dass es schon passen würde.


Was tun? Auf Booking.com fand ich einen bewachten Gebäudekomplex und buchte eine extrem besondere, teure Unterkunft mit der Kreditkarte meiner Mutter. Mama, falls du das liest, du kriegst das Geld noch zurück!! Das Taxi zahlte ich mit dem Bold Account meiner Schwester. Sis, falls du das liest…


Dann sperrte ich mich drei Tage in das Penthouse mit riesigen Glasfenstern und sechs Betten ein. Ich hatte mein Ladekabel im Hostel vergessen, aber es gab kein zurück. Ich schrieb in die Whatsapp Gruppe für meinen Aufenthalt in dieser Unterkunft und sie machten ein Foto, als sie mir ein Gerät überreichten und liehen.


Die ganze Zeit dachte ich, dass ein Mann, also der Mann mit den gelben Zähnen, hinter den Türen von einem der verspiegelten Kleiderschränke lauert. Der Wind hämmerte gegen die Scheiben, es pfeiffte und ich fühlte mich wie Kevin allein zuhause, nur mit mehr Angst. Der Anblick des Meeres war nicht schön, es gab keinen Sonnenuntergang, nur graue Farben, eine traurige Brühe, auf der überfischt wurde.


Ich fühlte mich einsam, und die Einsamkeit war ein scharfes Messer, dass sich wieder und wieder in meinen Körper, mein Herz rammte. Also rief ich meine Freundin an, gestand ihr dass ich in diesen Momenten meinen Ex-freund vermissen würde. Auf ihn konnte ich mich immer verlassen. Mit ihm war das Reisen so schön, so leicht, wenn ich hinten auf dem Roller saß. Sie wurde wütend, wies mich auf die heteronormative Abhängigkeit hin, zu der ich tendiere, und ich sah das ein. Sie überwies mir 100 Euro. Unten im 7/11 kaufte kaufte ich davon alle Süßigkeiten auf dem Matcha stand, schrieb dann doch etwas.


Die besten Momente in Pedang hatte ich mit dem Buch Tomorrow, Tomorrow and Tomorrow auf dem schwarzen klebrigen Ledersofa. Im Hintergrund liefen Videos auf YouTube von einem verliebten Paar, dass im Sommer nach Pendang reiste und den Streetfood Markt besuchte, zeigte, was man alles verrücktes essen könnte. Sie waren begeistert. Also machte ich mir Notizen, lernte die Speisen, sprach sie laut aus,  als würde mich gleich jemand abfragen. Irgendwas wollte ich mitnehmen, bestellte online alle Gerichte, von denen ich noch nie gehört hatte, auf Ubereats, auf den Nacken meines Bruders ohne schlechtes Gewissen, und bekam meine Tage. Ihm muss ich nie etwas zurückzahlen.


Ich wünschte mir etwas von dem Hash herbei, dass ich immer in Marokko geraucht hatte, von dem man so kindlich, zufrieden kichert. In der Lobby holte ich mir eine Tüte nach der anderen ab. Besonders ekelhaft fand ich den Rojak Salat; Übersetzung: eklektische Mischung. Es war eine süßer, scharfer und würzig Fruchtsalat mit dicker Paste. Trotz der sechs Betten schlief ich mit den verschiedensten, stark riechenden Speisen und einer Von Dutch Cap auf dem Gesicht auf der Couch ein.


Am nächsten Morgen war Geld auf meinem Konto. Ich buchte eine teure Gesichtsbehandlung im gleichen Hochhaus, sehnte mich nach Entspannung und Schönheit, aber bekam Akne, also offene Stellen im Gesicht. Die junge Frau lachte, während sie mich mit einem Laserstrahl bearbeitete und ich fragte, warum es so verbrannt riechen würde. Sie brüllte vor Lachen: >>Your Face BBQ!!!!<<. Was zur Hölle hatte ich da gebucht, GETAN?

Am Ende sagte sie noch >>Sorri<<.


Ich schaute erst garnicht in den Spiegel sondern lebte mit den Konsequenzen, band mir ein Tuch um das Gesicht und ging ich der prallen Sonne spazieren, hatte keinen Sonnenschutz und keinen Bock mehr und verlief mich. Jetzt war ich wenigstens die Männer los. Ich landete auf einer Promenade, auf der die Locals joggten und holte mir als letzte Amtshandlung den komischsten Nachtisch jemals, genannt Cendol. War eigentlich ziemlich gut, Daumen hoch  šŸ‘šŸ¼. Im Uber nach Hause buchte ich mir einen Flug nach Kuala Lumpur. Schnell weg hier. Noch ein Foto hochladen: I <3 Penang. Lol!


Einmal übernahm ich Verantwortung und brachte mich nicht in Gefahr, sondern Sicherheit, also in eine kühle Mall. Die nächsten zwei Tage würde ich im und um den Pavilion herum verbringen.


Ich shoppte, da ich mittlerweile aussah wie ein Hippie, meine zerrissene Levis Jeans roch. Also kaufe ich mir also eine Lederhose und Plateaucrocs, sowie ein enges graues Top und eine goldene Bluse. (Wo sind die eigentlich??) Mit dem neuen Outfit ging es dann ins Kino. Noch nie so drauf gefreut — und dann kostete es nur drei Euro. Mega. Auf englisch lief nur Barbie. Also schaute ich ihn zweimal hintereinander und lachte laut, weil ich alleine war. Die karamellisierten Popcorn schmeckten hervorragend, das Hautbild verschlechterte sich, aber es war mir egal.


Ein Freund aus dem Kindergarten, Naoto (Er wohnte einige Jahre neben mir auf der Max - Ernst - Straße in Meerbusch) slidete in meine DMs, erkannte meine Location am PMS-Kennzeichen, das ich geteilt hatte: Ob wir uns treffen wollen, er wohne hier. Ich folgte ihm nach Jahren auffällig zurück und wir trafen uns in einer anderen eisigen Mall, in einer Restaurant-Kette. Dort stellte er mir seine Frau vor, die sich süß die Hände vor das Gesicht hielt, wenn sie lachte. Sie hatte schöne weiche Hände und war größer als er. Beide waren so nett, lachten so viel miteinander. Es traf mich wie der Blitz, dass man so fern ab von Sodom und Gomorra leben konnte, so fern ab von Drama und Krisen. Sie hatten scheinbar ein geordnetes, zufriedenes und ruhiges Leben, eine gesunde Partnerschaft, stabile Psychen. Sie drehten sich nicht nur um sich selbst.


Mal brachen sie aus dem Alltag aus und tranken, wie auf ihrer Hochzeit. Sie zeigten mir Fotos und erzählten mir von den günstigen, Wasserkosten und er wusste alles über Flugzeuge. Ich wusste nichts zu sagen. Wie die meisten fragte er mich dann irgendwann nach meiner Schwester und sie wurde neugierig. Dann zückte ich mein Handy, reichte es über den Tisch und konnte einige Minuten vor mich hinvegetieren und nicken.


                >>It's craaaazy, right!? <<


Wenn die Leute versuchen, die Ähnlichkeit zwischen ihr und mir zu erkennen, wird es es manchmal kurz und manchmal länger unangenehm. Ich liebe es wenn man ihr Bild neben mich hält. Um davon abzulenken, komme ich dann doch in Fahrt, erzählte von meinem Pilztrip und wie ich der Vogue landete, als wäre meine Schwester adelig. Dann zeigte ich ihnen den Surfer, den ich in Bali kennengelernt hatte, der mit seinem Golden Retriever Wellen ritt und so mein Herz eroberte. Dann schilderte ich wie ich besoffen auf einer Hochzeit auf Seife in einem für mich entworfenen Kleid in den Pool ausrutschte, dann immer wieder und wieder sprang und sprang, um etwas zu fühlen…und dann heulte, weil ich jemanden, etwas vermisste und mit meiner schnarchenden Mutter ein Bett teilen musste. Ich hatte mir die Weltreise anders vorgestellt.


Ich sinnierte, dass ich aber jetzt das Ruder rumreiße, spontan nach Tokio fliegen wollte, da meine Follower*innen bei einer Abstimmung auf  JA, mach! geklickt hatten.


Bie beiden lachten etwas schockiert. Wieder sprach ich, um zu sprechen und fragte ihn: >>Warst du schon mal da, also in Tokio?<<. Er kommt aus Tokio. Das war peinlich.

Ich aß aus Versehen einen Dumpling mit Fleisch und verschluckte mich am Tee, lud die beiden hustend zu mir nach Wien ein. Sie sagten, sie würden wirklich und gerne kommen. Dann fiel mir ein, dass ich da garnicht mehr wohne?!, aber behielt es doch für mich.


Wir trennten uns, weil die beiden arbeiten mussten und ich stieg in eine U-Bahn, weil das günstig war und ich nicht wusste wohin. Mein Handy bimste und ich wurde in eine WhatsApp-Gruppe eingeladen:


Bella in Tokio! Mit drei Männern und einer Frau. Manche Menschen sind so nett, hilfsbereit, normal. Oder wollte er mich verkuppeln?


Ich wollte nach Tokio, um anonym zu sein, keine weiteren blind Dates, sondern mich von allem, von dem Mann auf dem Roller, von mir selbst erholen. Vielleicht könnte ich durch 25.000 Schritte am Tag mein Ego doch noch erschöpfen. Zumindest hätte ich dann etwas zu erzählen, könnte mich mit fremden Federn, dem Japan-Stempel im Pass, ein paar neuen Designerstücken schmücken.


An diesem Tag fühle ich mich leer.

Was tut man da? Sich mitteilen, eine Story hochladen: Mood 3/10. >>Normales Travel-down. Aber Tokio ist der falscheste Ort Japans für Erholung. Die Eindrücke werden knallen<<, bekam ich von L. zurück.


Ich sprach eine junge Frau an, weil sie eine Jacke trug, auf der Viagra stand und wir freundeten uns an. Der Tag nahm eine gute Wendung und ich landete später glücklich


IM BETT


Mein Hotelzimmer in Kuala Lumpur war so klein und gemütlich, eine Kapsel, die man ganz dunkel machen konnte. Rückblickend hatte ich in diesem Zimmer, in der Dusche mit verstellbaren Neonlichtfarben, mit einem Stofftier-Männchen Kuscheltier, die beste Zeit während meiner ganzen Weltreise. Nichts passierte. Ich genoss einfach die Zeit mit mir, fühlte mich sicher, tanzte zu Doja Cat und Paula Hartmann.


Ich schaffte es dann aber aus dem Hotel zu fliegen, weil ich die EINZIGE Regel brach: die Durian-Frucht auf dem Zimmer zu essen! Das war so ekelhaft, woahhh!! Das hätte ich filmen müssen.


Am Abend lief ich mit meinem Gepäck durch die vollen Straßen, ließ mir von einem begabten Jungen auf der Straße aus Draht Schranz und Shit als Ketten drehen. Der Drahtzieher dachte ich und mein Geliebter würden so heißen. Ich lachte, setzte mich für einige Stunden neben ihn auf einen Hocker, hörte den Straßenmusikern und Tourist*innen zu.


Ich fand ein Hostel und schlief wieder sehr schlecht. Am Morgen fuhr ich mit dem Taxi in ein Hipster-Café und bestellte Pancakes mit Matcha Eis, fror. Ich schrieb weiter an Surroundings und sah ein, dass ich auf einem Holzweg war. Dann fuhr ich weiter zu den Batu Caves und drehte wieder um, sobald ich sie aus der Entfernung sah und ein Foto gemacht hatte. Es regnete und ich hatte kein Bock auf die Treppen. Leider stand man da, an diesem Ort einfach mitten auf der Autobahn und bekam kein Taxi. Mein Datenvolumen war leer. Ich nahm meinen Mut zusammen und sprach ein nettes Paar an, das mich gerne wieder mit in die Stadt nahm. Im Auto redete ich ganz viel, damit sie merken würden, dass ich keine Verrückte, sondern ganz normal, nett und dankbar war. Wir verstanden uns gut und hätten den Tag miteinander verbringen, etwas erleben können, aber ich trennte mich bescheiden, sah ihm die Enttäuschung und ihr die Erleichterung an.


Draußen schwitze ich bei 30 Grad in meiner Lederhose und als mich ein Mann auf der Straße ansprach, er war sogar gelaufen, dass ich Beautiful wäre, sagte ich hilflos; >>Sorry. I have a boyfriend<<. Fast hätte ich mich sogar entschuldigt, für sein Versehen. Immerhin hatte ich immer noch blutige Wunden im Gesicht. Dafür dass ich mich so hässlich finde, machte ich dann aber später ganz schön viele Selfies und Spiegel-Pics in Unterwäsche. Hat das Phänomen einen Namen? Ambivalent? Gestört?


Zu dieser Zeit wollte ich eigentlich nur noch nach Hause. Aber ich hatte keins mehr. Das Universum griff ein. Alena schrieb mir einen Tag später, dass ich nach München kommen könnte, Hannahs Wohnung wäre für einige Monate frei. Es gab einen Plan!


Das feierte ich in meinem Lieblingsladen: Oh Yeah Banana Leaf Bukit Bintang und saß an einem Tisch mit mehreren Indern.

>>Ich fliege noch nach Tokio und dann komme ich!!<< schrieb ich an während ich einen Mango Lassi schlürfe und stolz war, mich nicht mehr mit Alkohol zu regulieren. Hat das Camp doch etwas gebracht? Würde ich es auch in Japan schaffen keine Sake zu trinken? Das nächste Mal dann erst wieder auf dem Oktoberfest, meine erste Maß ever?!


Die Männern lachten Tränen, als ich träumend, planend und unaufmerksam in eine getrocknete Chili biss. Ich fühle gerne starke Emotionen, liebe das Unvorhergesehene, aber dass ich heute sterben würde, sah ich nicht kommen.


 >>Very spicy << waren meine letzten Worte.