
Schranz
(SURROUNDINGS)
Schlechter geht es nicht. Besser auch nicht. Wild! Pathos. Cuba Libre und Vapes. Armstulpen und rote Haare. Southstar. Ein Vibrator in Eiffelturm Form. FUN. Humor. Gelnägel, Kondome mit Cola Geschmack, Kaffee aus dem Automaten ...
KORFU ODER KRETA - HAUPTSACHE ITALIEN


CORFU SCHRANZ
WIEN
Ich sitze im Zug nach Wien, weil ich zum Zahnarzt muss und suche mir auf der Fahrt mein Ziel, meinen Flug heraus. Der Preis ist gut. Die Klicks gekonnt.
Ich buche: Wien – Kreta.
Am nächsten Tag checke ich die Mail:
"Ihre Reise nach Korfu steht an!"
Häää!!?? Egal, dann halt Korfu. Jetzt nur noch ein Mietauto buchen, ein neues Buch kaufen. Fuck, ich habe keinen Führerschein dabei...
Als letzten Schritt buche ich das falsche Airbnb. Ich fasse es nicht und frage den sehr gut bewerteten Host, ob man die Bude auch ohne Auto erreicht, ob dort Strände in der Nähe sind?
„Nein, keine Chance. Stornier lieber!“, schreibt Andreas.
Egal. Übermorgen geht es los. Wo ein Wille, da ein Weg.
In der schicken Zahnarztpraxis mit Blick auf das MQ bekomme ich eine spontane Wurzelbehandlung und sabbere mich über die Mahü, esse weiche Bubble Waffeln mit Pistaziensauce und höre den
Straßenmusikern zu. Ein Bär mit Cap pennt und trinkt Bier. Die Straße ist ewig lang und Sonne brennt. Im DM kaufe ich einen gelben Tangle Teezer der mir lächerlich gute Laune macht. Was braucht man nochmal für Urlaub? Ich kaufe mir die Sonnencreme 50+ für Kids und bereue diese Wahl dann später.
In 1070 habe ich Anxieties, bis es in meinem Kopf einen Schalter umlegt: Du juckst wirklich niemanden! Das ist etwas traurig, aber das ist auch etwas Freiheit.
Ich wohne bei meiner Freundin Tessa am Berliner Döner und trinke bei 33 Grad Kamillentee. Die Wohnung ist schön und kühl. Der tropfende Wasserhahn macht mich verrückt. Am Abend gehe ich alleine ins Haydn Kino. Alles steht Kopf 2. Zwei Mal fließen die Tränen. Ein Erfolg! Der Schweiß der Seele.
Am nächsten Morgen treffe ich ein letztes Mal meine Psychologin im 12. Bezirk. Sie ist
begeistert von meiner neuen Klarheit, einer Präsenz, wenn ich für mich einstehe. Ich freue mich kurz. Die Veränderung in meinem Ton wäre mir nicht aufgefallen. Endlich aggro.
Sie weiß noch nicht, dass ich bald Schluss machen muss. Liest sie meinen Blog? Niemand
war in den letzten Jahren so gutmütig zu mir. Danke, Frau Rauter – ich übe mich in
Mitgefühl! Sie haben mich nie verurteilt, nie abgewertet. Sie haben mich begleitet und im
Sand spielen lassen, mit ihren Igelbällen. Sie haben mir geholfen, einfach weil sie eine
Konstante waren. Ein Geheimnis liegt noch in ihrer Kiste... behalten sie es!
Danach chatte ich mit Alena: „Kein Alkohol ist für mich einfach die Lösung“
„Hammer“, antwortet sie und schickt mir ein Foto der Auslage einer Bestattungsfirma;
Ein Kreuz mit Max Mustermann: 1945-2009
„Top 5 Schranz! Aber es ist halt auch schwer Werbung zu machen als BestatterIn.“
Dann schreibt mir Lars. Um 21:00 Uhr ist er in meiner Nähe. Mein Körper spricht sich dagegen aus. Mein Geist ist neugierig. Ich trinke ein Ottakringer in der Burggasse. Ich treffe Lars, bin kurz aufgeregt. Lars schenkt mir Rubbellose und wenn wir gewinnen? Dann werden wir ein Haus bauen!
Wir schauen Fußball, aber sehen nichts.
Wir füttern Mäuse mit Berliner Döner.
Wir machen Fotos von Gullis, die wie Teppiche aussehen. Dann lädt er mich auf die Fusion ein. Ich texte Alena nach dem dritten Bier:
„Ich fahre mit Lars auf die Fusion!!“
Alena schreibt: „???“
Es ist erschreckend, wie schnell es meinen Schalter umlegt. Wie gut es tut, sich nicht so
streng an die Regeln zu halten. Wie schnell ich mich dem Rausch hingeben könnte, wenn alles egal ist. Aktuell finde ich es wirklich spannend welche Teile wann und warum übernehmen. Ich stelle sie einander vor und lasse sie diskutieren und kriege Talkshow Vibes.
„Du musst dich als Studie sehen, als Projekt!" sagte Laura mal. „Nimm dich ernst!", sagte Jemand mal.
Ich fahre also nicht mit Lars, Magenschutz und 5-Hydroxytryptophan zur Fusion, aber ich fliege nach Korfu!
Neben mir sitzt ein Mann, der mir nicht sympathisch ist. Er hat den Fensterplatz und freut sich nicht darüber. Vor ihm sitzen seine Frau und sein Kind. Immer wieder setzt er ihr seinen Touri-Hut auf, massiert sie, liebt sie. Es rührt mich. Er freut sich nicht über die Freiheit der Wolken, aber über seine Familie. Ich spüre seine Vorfreude auf den Urlaub. Sie machen Selfies und lachen. Es steckt mich an und unsere Dynamik, die Energie verändert sich. Nachdem er die Landung applaudiert hat nicken wir uns lächelnd zu und wünschen uns ganz herzlich „Viel Spaß."
KORFU
Die warme griechische Luft, die mir am Flughafen entgegen strömt, ist vielversprechend. Sie lässt Lebensfreude in mir aufflammen und irgendwie auch Lust.
Das Licht ist einfach anders: orange, seicht, warm, wie im Märchen. Wie im Film. Ich bin einen kurzen Moment komplett glücklich.
Pauli spricht immer von der Kraft der ersten Palme. Für mich ist das der Geruch, der Schwall, wenn man aus dem Flieger steigt.
Ultra Privilegiert. Ultra schlecht für die Umwelt.
Jetzt habe ich aber ein anderes Problem: Den Weg, für den es keinen Weg, also keinen Bus gibt. Auch kein Taxi will dort, an das andere Ende der Insel. Also lande bei einem Georgios im Auto.
Früher haben sich Eltern Sorgen gemacht, wenn man etwas zu spät zu Hause war.
Jetzt sitze ich in diesem Auto und bekomme verschiedene Bezahlungsmöglichkeiten angeboten. :)
Mein Airbnb ist im nirgendwo, neben einer Tankstelle, an einer Straße, auf der in beide
Richtungen weit und breit nichts kommt. Andreas empfängt mich herzlich und wimmelt Georgios ab.
10/10 Tagebuch – egal, mein Blog!
Liebes Tagebuch,
heute habe ich Andreas kennengelernt.
Er ist Grieche, Mitte 30, hat eine Katze, Emo (habe ich so - ich glaube falsch - verstanden), Zucchinis und Tomaten im Garten und ein Auto. Er ist zuvorkommend, mehr als nett. „Don't be shy", meinte er. Er fuhr mich zum Supermarkt und morgen zum schönsten Strand. Wir redeten über das System der inneren Familie und über das Unterbewusste, über Emo und Korfu-City, Abi- Abschlussfahrten. Über die Beziehung zwischen ihm und seinen Vater. In den Dörfern hier gibt es wohl viel Gewalt. Wie in meinem Buch, damals im Neapel der fünfziger Jahre.
Dann richtete er mir ein Fahrrad her. Ich freue mich so!! Ahhhh.
Werden wir vielleicht heiraten? Bis morgen <3
deine Bella
Überraschend schnell erreiche ich das Gefühl, dass wir uns erurlauben, erkaufen, erarbeiten wollen:
Erleichterung. Raum. Im Moment sein. Den Schleier loswerden. Ruhe im Kopf. Gerne in den Spiegel schauen. Befriedigung. Heilung. (Ecki Tolli Schranz)
Ich habe nicht einmal Druck, in der Sonne zu brutzeln, damit sie meine Narben und Imperfektion korrigiert. Nein – Ich sitze am braunen Holztisch in der alten Küche. Emo auf meinem Schoß. Für einige Tage will ich nirgends anders sein, keine andere sein. Man kann also meditieren oder „einfach“ auf eine Insel fliegen.
Mein Körper tut aber noch weh. Mein Herz auch. Die Probleme, nimmt man also mit ... (Genervter Smilie). Alle sind noch tot, auch wenn ich hier mein bestes Leben lebe.
Mit dem Mountainbike für Jugendliche fahre ich los und hänge den Schmerz ab. Es ist gottlos heiß. Es geht steil bergauf. Ich lande in einem winzigen Dorf. Hier gibt es genau ein Café. Ich wage es nicht, nach Hafermilch zu fragen. In der Sonne trinke ich meinen iced Kaffee und laufe an älteren EinwohnerInnen vorbei, die mich anschauen, als wäre ich ein Alien. Mit meinen grünen Shox schocke ich.
Sofort ärgere ich mich, nicht einfach freundlich „KALIMERA!" gesagt zu haben. Es ist nicht so schwer. Das Dorf endet hier schon, also gehe ich zurück und will es besser machen. Wieder starren wir uns an, erkenne ich da Missgunst?? Also verziehe ich eine komische Miene, etwas zwischen Lächeln und Kopfschütteln und gehe zurück zu meinem Abenteuer-Bike. Als ich nach rechts schaue, liegt da ein Buch. Da liegt einfach „Landkrank” von Nikolaj, was ich schon lange lesen wollte.
Dann fahre ich heim in mein großes Bett und zu dem kühlen Steinboden. Zu der großen Stahluhr, der typischen Airbnb Deko im „Boho-House“. Ich will zu der Kleiderstange aus Holz und den Traumfängern, die nichts mit meinem Leben zu tun haben und lesen. Nikolaj ist auch depri: „Ich bin ein Monster. Ich bin das Problem" ... „Ich habe meine Orientierung und meinen Halt verloren... in einer kranken Welt" Fair!
Ich schreibe mir ein Zitat von Kierkegaard auf:
Man muss erst lernen sich selbst zu erkennen. Erst wenn der Mensch so innerlich sich selbst verstanden hat und nun auf seinen Weg sieht, erst da bekommt sein Leben Ruhe und Bedeutung.
Dann lege ich es weg, schaue stattdessen den Film 4 Minuten von Chris Kraus mit Monica Bleibtreu und Hannah Herzsprung - und wenn die Musik spielt, bekomme ich eine kribbelnde Gänsehaut.
Es ist fast Abend und die Luft kühl angenehm ab. Also schnappe ich mir erneut das Bike und fahre in einen Schranz-Ort zu einem Schranz-Strand, an dem Paare Badewäsche in der gleichen pinken Neonfarbe tragen und in der Beach Bar laufen Popsongs. Dort werde ich das komischste Tretboot mieten und in den Sonnenuntergang fahren. Oder sowas.
Ich beschleunige. Singe! „Mensch” von Herbert Grönemeyer. Keine Ahnung, wie das passiert
ist. Dann halte ich an, um mich einzucremen und es ist ein einziger Fail: Die Sonnencreme ist viel zu dick, weiß und permanent. Ultra unangenehm, wenn sie sich mit Schweiß mischt. Also ziehe ich mein T-Shirt aus und fahre weniger als 1 km/h, als die Steigung der Straße ihren Höhepunkt erreicht.
Ein Typ fährt langsam im Truck an mir vorbei, amüsiert sich über meine Anstrengung, hupt,
winkt…flirtet. Wut übernimmt und ich sage: „Go. Gib ihm.” Ich schreie und zeige ihm den
Mittelfinger. Fluche. Fahre so schnell ich kann hinterher. Stelle mir vor, wie ich seine Reifen
zersteche. Klopfe an sein Auto. Dann lache ich laut. Schnaufe. Er ist verwirrt. Fährt schnell weiter. Ich bin in meinem Kopf im Film Death Proof, in der Realität schon angehalten…Ich schiebe weiter. Nach dem Ausbruch bin ich aber ganz befreit. Ich habe klare Gedanken:
Ich bin ein Kirschbaum. Meine Schwester eine Birke. Sie fährt einen Porsche und ich dieses Fahrrad. Ich würde es gegen Nichts tauschen. Schon jetzt weiß ich, dass ich auf diesen Straßen die besten Momente des Urlaubs haben werde, weil ich mich frei fühle.
In einem Monat werde ich 31 und mir fehlt die Sicherheit, aber ich wollte das Leben, bewusst oder unbewusst, so wie es eine Löwin nunmal mag: Offen und frei. Auf der Jagd, in der brennenden Sonne — oder faul im Schatten auf einem kühlen Stein. Verspielt und stolz. Liebend.
Es ist einfach so. Es wird vielleicht nie anders sein: Mein Handtuch und mein Körper werden immer voller Sand sein. Die Sonnencreme wird auslaufen und ich werde nie vorkochen oder das Geschirr (gerne) sofort abwaschen. Ich werde immer auf der Oberlippe schwitzen, mich gedanklich überschlagen, hoffentlich weniger falsche Entscheidungen treffen ... sich die Nägel vor dem Urlaub machen lassen, war zum Beispiel wirklich nicht mitgedacht.
Aber ich weiß nun, wie ich NICHT leben will: In Angst. Ich will keine Feinde mehr, will nicht mehr meine eigene Feindin sein. Ich will Frieden. Auf der Welt und in Mir!
Am Canal d'Amour bin ich enttäuscht. Sidari gefällt mir nicht, viele Touris. Aber ich bin der Stau"
Dann lerne ich Spiros kennen. Ein älterer Mann mit lieben Augen, einem Strohhut und nur einem Arm. Er kümmert sich um die Liegen und Treetboote. Gerade sind alle vergriffen. Er gibt mir die Hand, die er noch hat, und wir mögen uns. Er macht mir den besten Café Freddo meines Lebens, schenkt mir eine Liege. In wenigen Sekunden ist sie voller Sand. Als es dunkel wird umarmt er mich zum Abschied und ich fahre zufrieden, wegen meiner eigenen Offenheit, nach Hause und finde den Weg dank einer integrierten Taschenlampe am Fahrrad, mit einigen Umwegen zurück.
Im frischen Bett schaue ich die vielen Tik Tok’s, die mir Laura schickt und versuche in mein Zwerchfell zu atmen. Ich schreibe diesen Text und lese Tartuffe von Molière - und finde die Komödie nicht lustig. Sorry, das war vllt 1664 funny. Aber ich liebe Mias Buch von Elena Ferrante: Meine geniale Freundin. Mia, du kriegst es ganz bald zurück! Du bist so eine Freundin für mich! Genial.
Eingecremt und nackt schlafe ich ein. Wache wegen Zahnschmerzen auf. Schlafe wieder ein. Eine Mücke, ein Gedanke... Es ist okay! Alles auf dem Weg ... beruhige ich mich. Mein Zahn pocht, mein Handy vibriert.
„Bist du noch wach?", von Andreas.
„Hast du vielleicht Schmerzmittel?", von mir. Fünf Minuten später klopft es an meiner Tür.
Am nächsten Morgen esse ich eine riesige Portion griechischen Joghurt, weil ich wohl gar
keine Laktoseintoleranz habe. Auch die habe ich mir eingeredet! Meine Gedanken sind besser, aber mein Bauch, mein Zahn noch leicht entzündet.
Also frage ich ChatGPT um Hilfe. Lerne, wie man lebt. Wie man putzt, wie lange man Kartoffeln kocht. „Immer bitte und danke zur KI sagen!!,“ riet mir Lars.
Mein Bruder ruft mich an und bringt mich zum Lachen. Ich liebe ihn so sehr! Es kommen Erinnerungen hoch. An meinen schnellen dunkelblauen Schlitten früher, der Musik gemacht hat. An den romantischen Pärchen-Urlaub in Korfu vor wenigen Jahren. Da schrieb ich Feelings. Da las ich Offene See — ein sehr schönes Buch.
Mia schreibt mir: „Korfu? Habe ich geliebt. So grün! Wie in einem Land vor unserer Zeit. Hätte mich nicht gewundert, wenn Dinos vorbeigelaufen wären.” Sie hat Recht!!! Jetzt genieße ich noch drei Tage im Paradies. Ich bin voller Gefühle, Dankbarkeit, Schmerz und Fantasie. Voller Sand.
Klar wie das Wasser, dreckig wie die Straße. Ich sehe überfahrene Babykatzen. Realität. Sackgassen. Wahnsinnig malerische Sonnenuntergänge. Das grelle Licht der Tankstelle. Auswege.
Ich bin nicht im Schranz-Modus. Aber man kriegt mich aus dem Schranz, den Schranz nicht aus mir. Oder so. Die Menschen hier sind unglaublich freundlich.
Trotzdem freue ich mich schon auf Berlin, das ist jetzt mein Zuhause. Da arbeite ich bald. Vielleicht wird das erholsamer als die hundert Reisen, die ich machen durfte. Ich freue mich auf Mia und Laura. Auf Becci und die Theater. Auf die Jobs. Auf Jakob, Korbi und Tom. Auf ein Selbst. Sogar auf die U8.
„Ein stabiles Leben ist halt in ruhiges Leben“, erinnert mich Julia, mein Atmen-Coach.
Hmm. Ein Herzschlag ist doch auch nicht monoton... Aber Okay, let's see.
Ich werde erwachsen. Ich will nie erwachsen werden. Ich denke an meinen Opa, schreibe ihm eine Rede. Füge seine Kalendersprüche zu, die er gesammelt und mir geschenkt hat:
• Ziel des Lebens ist es nicht, ein erfolgreicher Mensch zu sein, sondern ein wertvoller.
• Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kannst du Schönes bauen.
• Die Summe unseres Lebens sind die Stunden, in denen wir geliebt haben