
Schranz
(SURROUNDINGS)
Schlechter geht es nicht. Besser auch nicht. Wild! Pathos. Cuba Libre und Vapes. Armstulpen und rote Haare. Southstar. Ein Vibrator in Eiffelturm Form. FUN. Humor. Gelnägel, Kondome mit Cola Geschmack, Kaffee aus dem Automaten ...
Baby Botox und Tabacco Bar oder Heilerdemaske und Badewanne? Haus der Kunst, Kino Isabella, dann Favo? Einfach ins Baader Cafe.
Wir landen im Cucurucu, sagen Tobi hallo. Auf der Straße steht eine Gruppe und einer aus dem Kreis spricht sehr laut. >>Ich hasse Arthouse Filme!! Ich hasse Mubi!!<<. Sofort will ich mein Abo kündigen. Dann empfiehlt er aber doch allen
den Film
The killing of a sacred Deer
und ich will das Abo behalten.
Ich ahne den Schranz, und da steht er mit bestrasster IT-GIRL Cap. Nils. Alena erzählte mir schon vor Jahren von seiner Show bei Radio 80000 und der Party, auf der er sich an seine neue Flamme kettete und den Schlüssel der Handschellen verlor. Ich beobachte ihn den ganzen Abend aus der Distanz und bin gut unterhalten.
CUT
Der nächste Morgen. Hangover. Draußen ist es kalt. Ich liege mit Wärmflasche im Bett, versuche den Beamer zum Laufen zu kriegen, das Bild ist schief, der Ton will nicht. Ich mache eine Story >>Wie lange kann man jetzt Zuhause bleiben, 3 Monate?<<. Paul antwortet mit >>6<<. In mir machen sich Serotonin und Erleichterung breit. Mein Leben hängt gerade an Milchschaum, Drogeriemärkten und der Aussicht auf die Berge vom Olympiapark.
Um doch irgendwas (Gutes) zu tun fahre ich in ein Frauenhaus und frage nach einem Ehrenamt. Als sie mich in einem sechsaugen Gespräch nach meinen Plänen für die nächsten drei Jahre fragen, weil ich in München bleibe müsse, wenn ich ein Patenkind bekommen würde, dass ich nicht durch mein Verschwinden re-traumatisieren darf, kriege ich einen Schweißausbruch. Ich habe keinen Plan für die nächsten drei Tage.
Mein Gegenüber bemerkt das und teilt mich für den Mittagstisch ein, bei dem ich sofort starten kann. Also mache ich Salat, bereite Kaffee und Kuchen vor, bekomme dann die Aufgabe des Kassierens. Obwohl es nur einen Preis gibt, 1,50 Euro, bin ich extrem überfordert als die Leiterin neben mir steht und mir eine Frau vier Euro reicht. Dann kippe ich wirklich um, weil ich vergessen habe heute zu essen. Die nette Anouschka, 53, fängt mich auf. Sie trägt coole Pradasneaker und hat sich neben dem traditionellem Lebensweg als Mutter und Ehefrau diese Aufgabe gesucht. Nachdem ich ihr meine Geschichte erzähle, hat sie Tränen in den Augen und sagt;
>>Du kannst dir an vielen Orten ein Leben aufbauen, aber gebe nie deine Freundschaften auf. Ich hatte immer so große Sehnsucht nach der großen Liebe. Mein Resümee: Es gibt nur wenige Menschen, die das erleben. Das Leben kann auch anders gut sein. Es gibt viele Formen der Liebe und des Lebens. Ich spüre viel Wärme und Tiefe in dir. Du musst besser auf dich aufpassen.<<
Die Übersetzung: Schranz dich nicht so weg.
Während sich hier alle Frauen zusammenreißen, gehe ich auf die Toilette und heule. Mein Blick im Spiegel trifft mich und ich sehe aus wie ein Hund aus einem meiner Lieblingsfilme: The Isle of Dogs. Das bringt mich zum lachen, weil es so lächerlich ist. Also schlage ich mir leicht ins Gesicht und gehe wieder heraus, lasse mich für das Sortieren im Keller von Babykleidung einteilen. Die kleinen Bodys und Teddystrampler sind so klein und süß, dass ich meine biologische Uhr laut ticken höre. Schnell mache ich PinkPantheress auf meinem Handy lauter, lese später weiter in Eva.
Auch von diesem Tag erzähle ich niemandem. Am frühen Abend gehen wir mit Elli und Cooper zum Konzert von Mira Mann und Carlos Cipa im Kunstpavillion. Wir denken bei den Lovesongs alle an jemanden Signifikanten, aber sprechen es nicht aus. Carlos ist ein Genie und Miras Stimme ist weich wie Trüffelbutter.
Elli flüstert mir zu: >>So etwas könntest du auch!<<. Ja stimmt, aber man muss halt auch machen. 10.000 Stunden investieren, dann hat man Erfolg, sagt ein Post auf Instagram, oder war das meine Schwester? Ne, sie würde sagen das ist zu wenig. Zehn Unternehmen gründen, dann hat Eins Erfolg. Das lähmt mich mehr als jede Dosis Ketamin.
Ich verabschiede mich von Cooper, aber wir fühlen beide, dass der Abend noch nicht enden, wir noch Zeit miteinander verbringen sollten. Er schickt mir ein Video, wie er wieder aus dem Bus hüpft und es kribbelt. Wir entschließen uns Scheisse zu bauen. Aber man baut scheisse, man sagt nicht, dass man Scheisse bauen will. So läuft es dann auch (nicht). Wir gehen in die Spielothek und fliegen raus, weil wir keine Ausweise dabei haben. Mit meinen dreißig Jahren fühle ich mich wirklich eher wie mit siebzehn. Cooper und ich teilen vieles: Das gute Aussehen, die Unsicherheit und den Hang zum Überdenken. Er hat einen besseren Musik und ich einen besseren Buchgeschmack. Wir mögen uns, finden uns gut, entschließen uns also Mal das Bett zu teilen, immerhin ist es kalt und die Cuffing Season ist ein Ding. Aber auch das kann man nicht planen.
Wir landen im Zum Jagerhansl und schauen gezwungenermaßen Fussball. Wenigstens ist es in dieser Stube wohlig schranzig. Alena kommt auch mit einem Date dazu, einem Freund aus Wien, der entweder Schnitzel isst, gute Flaschen köpft, oder zehn Kilometer läuft. Am Wochenende gibt es keine Butter und kein Öl! Seine Oberschenkel sind aus Stahl. Wir sitzen etwas unbeholfen da, also helfen nur Shots, um sich der Umgebung anzupassen. Der Laden wird voll und auch wir werden voller. Ein Vater mit Glatze und sein Sohn, beide in unterschiedlichen Fußballtrikots - Rivalen, erklären sie mir später, obwohl das offensichtlich ist- setzen sich zu uns. Sie werden ebenfalls immer betrunkener und geben uns noch mehr Kurze aus, die uns die Gehirnzellen wegbrennen. Ursula neben uns bestellt eine Jagerhansl Platte und erklärt, dass die Küche hier griechisch angehaucht seie. Auf dem Teller sind Bockwürstchen. Ungefragt erzählen Vater und Sohn von ihrem erfolgreichen Unternehmen, irgendwas mit Bodenbelägen. Sie machen natürlich viel Geld. Ich vergesse manchma wie man normal (mit Männern) spricht, wie man ist, dominiere kein Gespräch, (erkannte ein Typ der wirklich Liv Strömquist liest! und meine Therapeutin: Sie sind der Monolog-Typ), aber genau das zieht sie dann doch verhofft oder unverhofft an. Ich scheine wie ein zustimmender, kleiner, bedürftiger Spiegel. Ein Auffangbecken, eine liebende, harmlose Frau. Steckt da mehr hinter?
Als wir gehen, nimmt der alte Sack mich in den Arm und sagt mir ins Ohr >>Du bist so ne hübsche!<< und ich sage nicht >>Halt deine scheiss Fresse<< sondern aus Reflex: >>Echt?<<.
Ich küsse Cooper auf der Straße vielversprechend, aber mache dann vor der Tür einen Rückzieher. Ein Test?! Er, sechs Jahre jünger als ich, drängt mich nicht. Sehr gut, bestanden.
EINE HALBE STUNDE SPÄTER LIEGE ICH IN DER BADEWANNE UND BLÄTTERE IM BUCH SEXUELL VERFÜGBAR VON CAROLINE ROSALES. ES FÄLLT IN DIE BADEWANNE UND ICH BEKOMME EINEN ELEKTRISCHEN SCHOCK.
Ich springe auf, gehe nackt und mit verbrannten Haaren über dem Gesicht, ähnlich wie bei The Ring, um den Block, zurück in das Jagerhansl. Ich pirsche mich an wie eine Löwin und drücke die Köpfe von Vater und Sohn zusammen, wiederhole;
IHR SEID SOLCHE HÜBSCHEN. JAA SOLCHE HÜBSCHEN. GUTSCHI GUTSCHI. HÜBSCHI HÜBSCHI. LECKI LECKI.
DANN SCHÜTTE ICH IHNEN DIE DRINKS ÜBER DEN KOPF UND FAHRE IHNEN MIT MEINER ZUNGE ÜBER DAS GESICHT. ICH NEHME SIE AN LEINEN, STECKE IHNEN JEWEILS EINEN BALL IN DEN MUND UND SAGE: GEHORCHEN! BRAV. WUFF WUFF. BRAV!
ICH NEHME ALLEN MÄNNERN IM RAUM DAS GELD AUS DER TASCHE UND SPIELE DAMIT AM GELDAUTOMATEN. IM LOKAL HERRSCHT STILLE UND NIEMAND BEWEGT SICH.
ZURÜCK IM WARME BETT SCHREIBE ICH COOPER: War schön, freue mich schon;).
Als ich aufwache ist das ganze Zimmer voller Geldscheine. Vor mir liegt eine Tasche mit weiteren Scheinen. Ich fange an zu zählen. Ich habe gestern Nacht 50.000 Euro erspielt, oder gestohlen?
Ein Verbrechen - habe ich mich strafbar gemacht? Ich brauche Clyde nicht!
Mit Sonnenbrille gehe ich vorsichtig auf die Straße, auf der die Polizei Wanted - Bilder aufhängt. Ich muss lachen. Es zeigt eine schlechte Karikatur. Sie haben wirklich die von The Ring als Mug-Shot gewählt!
Ich schaue in den Himmel, flüstere >>Den hatte ich wohl noch gut!<< und ich glaube die Sonne zwinkert mir kurz zu. Jetzt kann ich ein Jahr nicht arbeiten.
Und jetzt? In mich oder NFTs investieren, also das Geld auf den Kopf hauen, nach Indien reisen, zum Ballermann, nach Bangkok, Tasmanien oder nach Berlin ziehen?
Da wächst doch der Schranz?!
Für eine Abstimmung ist es leider zu spät. Ich habe eine Entscheidung getroffen. Aber folgt mir gerne auf Instagram!
Meine erste Investition ist ein Haarschnitt bei der Legende M. Damit mich wirklich niemand wieder erkennt. Außerdem spinnt M. und ich will etwas spüren.
Hier gibt es keinen Spiegel, sondern eine Küche voller leerer Sektflaschen, Pizzakartons und Gespräche über das Leben. Ich bestelle >>Einmal Berlin, bitte.<< und es >>Geht klar!<<
Wir erzählen uns beide, wie gefährlich wir sind, diskutieren ob es Sicherheit und die großen Gefühle, Leidenschaft gibt. >>In mich sollte man sich wirklich nicht verlieben! Ich warne vorher <<, gibt M. an. Dann rutscht M. mit der Schere ab und riecht am Tropfen Blut aus meinem Hals.
>>Wollen wir uns essen, wie bei Bones and All? >>Natürlich nur mit Konsens!<<
>>Ja!<< >>Willst du das auch wirklich?<<. >>Ja!<<. So geht das!
M. beißt mir in den Hals, die Hand, dann in den Oberschenkel. Ich nehme mir die Rippen vor, die großen Zehnen, die Ohrläppchen. Eine Stunde später wasche ich mir den Mund aus und schaue hoch, erschrecke mich - Leider hasse ich meine neue Frisur!
M. ist verschwunden, war vielleicht nie da und ich fahre mit dem Taxi heim. Geld ist jetzt egal, aber ich fühle mich nicht wirklich besser. Auch nicht nachdem ich mir das teuerste indische Essen bestellt habe, mir die Creative Cloud und Apple TV, eine kleine Immobilie in Porto gekauft und für Straßenhunde gespendet habe. Wird das ganze Jahr jetzt so oder kann ich einfach nochmal Siddhartha lesen? Den Alchemist kriege ich nicht runter.
Dann schlage ich mein Buch von Mareice Kaiser auf. Mir fehlen zwar zwei Nägel, aber ich poste gekonnt eine Story von dem Buch, und den Fingern, die noch dran sind.
Mareice folgt mir sofort auf Instagram, schreibt mir eine Nachricht >>Liebe deinen Nagellack!<<.
Ich spüre manchmal Misogynie in meiner DNA, Neid und Missgunst. Noch schlimmeres. Aber jede neue, jede eigene Zelle will ausbrechen, etwas Größeres, Unabhängigkeit, und schreit aus vollem Halse: